PAIDEUMA. Mitteilungen zur Kulturkunde 62 (2016), S. 295–299
… Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Arbeit, die sieb aktuellen Fachdiskursen beugt, sondern um ein Werk, das unbeeindruckt von quälenden Metadebatten eine eigenständige Perspektive auf das ausgewählte Thema wirft. Leitideen schöpft der Verfasser aus der kulturmorphologischen Schule der Ethnologie und aus der phänomenologischen Religionsforschung. Dies verdeutlicht auch der inhaltliche Aufbau des Buches. Angelehnt an die religionsphänomenologischen Arbeiten Mirces Eliades werden die „Hierophanien“ des „archaischen“ Menschen vorgestellt. Diese „Manifestationen des Heiligen“ waren für Eliade Ausgangspunkte für dessen Wesensbeschreibung der Religion. … Grundlegend für die Arbeit ist eine kulturpessimistische Sichtweise, wie sie auch schon im Titel anklingt und viele Anknüpfungspunkte in der kulturmorphologischen Forschung von Leo Frobenius und Adolf E. Jensen findet. Gleichermaßen wichtig sind die religionswissenschaftlichen Arbeiten des bereits erwähnten Mircea Eliade. Hinzu kommt die derzeitige weltpolitische Lage, die es religiösen Minderheiten schwer macht, ihre Eigenständigkeit zu wahren und nicht zwischen politischen Machtblöcken zerrieben zu werden. …
Wer die[…] vom Verfasser gesetzten Axiome akzeptiert und eventuelle Kritik daran zunächst zurückstellt, wird reichlich belohnt, denn gerade weil in diesem Werk oft auf wissenschaftliche Theorien und Autoren Bezug genommen wird, die heute abseits der herrschenden Meinung stehen, regen die Schlußfolgerungen und Ergebnisse dazu an, auch die eigenen Positionen zu überdenken. Vom Verfasser wurden zum Beispiel zwölf Hierophanien ausgewählt, weil sie die „Rekonstruktionsarbeit an einer nichttheologischen, nichtrationalistischen Kosmologie“ erlauben, denn die vorgestellten Erscheinungen haben „in allen Kulturen und Gesellschaften Gewicht“, weil „sie nicht von ihnen kontrolliert werden können“ (38). Das „Wasser“ (51) ist eine davon. In ihm sind sowohl lebensspendende als auch todbringende Eigenschaften verkörpert, so daß es sich als Muster heidnischer Religiosität besonders eignet. …
Neben den thematisch geordneten Hierophaniekapiteln widmet sich Streck zum Schluß noch den charakteristischen Merkmalen des Heidentums, die ganz besonders im Schamanismus (355) und der Magie (335) hervortreten. Magie ist für den Autor das „Fundament jeder Religion, die praktische Seite, die auch der religiös Unbegabte braucht und gebraucht“ (335). Von daher wird das Heidentum auch als ein „bekennender Aberglaube“ (335) umschrieben, der seiner moralischen Indifferenz wegen in den abrahamitischen Religionen streng verboten ist. Auch wenn sich noch magische Anklänge im Monotheismus finden lassen, konstatiert der Verfasser: „Zauberei für jedermann gibt es deswegen nur im Heidentum, der demokratischen, anarchischen, urkommunistischen Weltreligion, in der die Geister das Sagen haben“ (336). Dem Autor genügen daher funktionalistische Erklärungen der Magie, wie sie Mauss, Frazer, Malinowski und Evans-Pritchard vorgelegt haben, nicht, um das Phänomen zu fassen. Als mögliche Annäherung an das magische Weltverständnis wird hier der kulturmorphologische Ansatz des Frobenius-Schülers Jensen vorgestellt, der den Grund magischer Rituale als Praktiken der Erinnerung an die Urzeit interpretiert. Dies zeigt sich an blutigen Opfern (341) genauso wie in Zaubersprüchen oder Felszeichnungen (343), die alle nur dazu dienen, das Urzeitgeschehen zu memorieren. Das große Verdienst, das der Verfasser dieser religionsethnologischen Schulrichtung zuweist, ist, daß Jensen und andere eben nicht der religionsgeschichtlichen Entwicklungstriade Frazers folgten, in der Religionen und ihre Gläubigen auf einer bestimmten Stufe eingeordnet wurden, sondern daß sie von einer gemeinsamen religiösen Erfahrung ausgingen, die allen Menschen zuteil werden könne. So ist eine Trennung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ nicht mehr nötig und der Blick für die magische Praxis der eigenen Gesellschaft wird geschärft. „Die Industriegesellschaft“, schreibt Streck, ist stolz auf ihren rationalen Lebensstil, doch „im Konsumbereich beginnen die magischen Domänen“ (347). Eben hier setzt auch die aktuelle Debatte um den Begriff der Magie in der Religionswissenschaft an, die feststellt, daß die Scheidung zwischen Magie und Religion nicht mehr notwendig ist, weil der sich dahinter verbergende Entwicklungsgedanke obsolet geworden ist. …
Trotz dieses pessimistischen Fazits bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer, das Verschwinden des Heidentums doch noch zu verhindern. Der Verfasser selbst nennt Indien, das heidnische Traditionen weiterhin akzeptiert (386) und verweist im letzten Kapitel „Rückkehr der Götter und Geister“ (392) auf die afro-amerikanischen Religionen, die eine Verbindung von katholischem Glauben und Geisterverehrung ermöglicht haben. Insbesondere der haitianische Voodoo wird hier als ein lebendes Beispiel eines „praktizierten Polytheismus“ herangezogen. Hier gelingt eine „Maskierung“ (394) der heidnischen Götter hinter der Fassade christlicher Heiliger, denn in diesem System sind den entsprechenden christlichen Heiligen immer bestimmte afrikanische Gottheiten zugeordnet.
Man muß dem Verfasser nicht immer in seinem grundsätzlichen Pessimismus folgen, auch wenn für die sudanesischen Beispiele, die auf Strecks eigener Feldforschung basieren, der Verlust religiöser Vielfalt ein Faktum ist. Aber neben einer Ethnologie und Religionswissenschaft des Verlustes, wie sie hier beschrieben wird, gibt es doch auch immer die optimistische Variante. In solch einer Religionswissenschaft (oder Ethnologie) feiern dann moderne Neuheiden, Wicca und Kemetisten fröhliche Urständ – und dies eben nicht nur in den sich als religiös plural verstehenden Gesellschaften des Westens.
Udo Mischek
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Leipziger Internetzeitung, 19.3.2013
… Bernhard Streck, bis 2010 Professor an der Uni Leipzig, hat ein Schlüsselbuch geschrieben. Das Schlüsselbuch zur Glaubenswelt unserer Vorfahren, bevor der Monotheismus seinen Siegeszug antrat. …
Streck … schafft in diesem Buch eine Gesamtschau über die Forschungsergebnisse der modernen Ethnologie, wie man sie lange nicht gelesen hat. Dadurch, dass er die Forschungen von hunderten Ethnologen – aber auch von aufmerksamen Missionaren, die selber Ethnologen wurden – zusammenführt wie ein gewaltiges Mosaik, entstehen Konturen, verdichtet sich ein Bild. Was oft nur als bruchstückhafter Blick in die seltsame Glaubenswelt einzelner afrikanischer, australischer, südamerikanischer Stammesgemeinschaften sichtbar war, enthüllt nun seine Parallelen. Es schält sich heraus, wie Menschen vor der Ausbildung der monotheistischen Weltbilder dachten, fühlten, sich verorteten.Es ist auch ein Bild eines langen Bewusstwerdungsprozesses, den eines bestimmte: Die Menschen hatten noch keine Macht über die Welt. „Die Welt außer Kontrolle“ überschreibt Streck das erste Kapitel, in dem er aufzeigt, wie sich die Menschen überall in der Welt mit den vorgefundenen Urgewalten arrangierten. Sie waren auch den alten Griechen noch Basis ihres Selbstverständnisses: die Elemente Wasser, Erde, Himmel und Feuer, mit all ihren Personifizierungen, die den alten, ursprünglichen Götterhimmel ausmachten.
… Stück für Stück arbeitet sich Streck durch all die Bezüge, mit denen Menschen in dieser Vorzeit versuchten, die Dinge im Fluss zu halten. … Es ist, als enthülle Streck durch diese gewaltige Überschau eine Welt, die bisher nicht sichtbar war, weil auch die Vorgeschichte immer aus der Sicht der heutigen monotheistischen Religionen betrachtet wurde. … Es ist ein erstaunlich emotionaler Blick in die Zeit vor unserer vom Monotheismus geprägten Zeit. …
Ralf Julke
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Neues Deutschland, 22.11.2014, Bücher zum Verschenken, S. 16
Angesichts der Renaissance der Religionen und fundamentalistischer Begleiterscheinungen ist dieses Buch hoch aktuell … Streck begab sich auf die Suche nach dem ursprünglichen Heidentum, dem archaischen Kosmopolitanismus unserer Urahnen. Es ist beeindruckend, mit welcher Detailtreue er das bunte Panorama uns heute völlig fremder Vorstellungen und Rituale zeichnet …