Historische Zeitschrift, Band 283 (2006), S. 470 f.

Migration aus dem Okzident in das Osmanische Reich war im Spätmittelalter und der Frühneuzeit kein Randphänomen, noch betraf es nur einzelne religiöse oder soziale Gruppen. Um so verdienstvoller ist es, daß der Vf. das Thema in wirklich umfassender Weise bearbeitet … Sicher, manches mag bekannt sein, etwa die religiöse Toleranz der Osmanen gegenüber den Buchreligionen Christentum und Judentum, ebenso die Offenheit der osmanischen Gesellschaft für „Aufsteiger“. Dennoch sind manche auf so breiter Quellenbasis gewonnene Erkenntnisse überraschend. So gab es zahlreiche Fälle, in denen Formen der Zwangsmigration (Kriegsgefangenschaft, Sklavenhandel) letztlich zur dauerhaften und freiwilligen Integration in die osmanische Gesellschaft führten. Ohne das Schicksal der Gefangenschaft zu verharmlosen, wird dennoch deutlich, daß – selbst im Extremfall der Galeerensklaverei – erstaunliche Freiräume existieren konnten; Kontakte zu Einheimischen und freien Landsleuten waren keinesfalls ausgeschlossen. Nach einer Konversion zum Islam standen den Renegaten potentiell alle gesellschaftlichen Positionen (bis hin zum Amt des Großwesirs) offen. Handwerklichen Spezialisten, gleich ob freiwillig oder unter Zwang ins Land gekommen, konnte es ob des osmanischen Pragmatismus auch ohne Konversion gelingen, zu einigem Wohlstand zu gelangen, Konversion zum Islam, meist gleichbedeutend mit dem Wunsch (und der Notwendigkeit), im Osmanischen Reich zu bleiben, hieß nicht zwangsläufig, alle Brücken abzubrechen … Insgesamt entsteht das Bild eines lebhaften kulturellen Austauschs, ungeachtet des militärischen Dauerkonflikts im Mittelmeerraum, auf dem Balkan bzw. später in Ungarn … Insgesamt hat der Vf. eine Studie vorgelegt, die nicht nur der historischen Migrationsforschung, sondern auch der Südosteuropaforschung mancherlei Anstöße zu geben vermag. So wäre es interessant, zukünftig mehr über das Integrationsverhalten der zweiten oder dritten Generation von Migranten aus dem Westen in die „Türkei“ zu erfahren.

Dirk Jäckel

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ZEITSCHRIFT DER SAVIGNY-STIFTUNG FÜR RECHTSGESCHICHTE,
124. Band, Germanistische Abt., 2007, S. 539 f.

Vorliegende Monographie – die Druckfassung der mit dem Förderpreis der Südosteuropa Gesellschaft ausgezeichneten Leipziger Dissertation aus dem Jahre 2004 — liefert erstmals eine in gleichem Maße die Geschichtswissenschaft, die Orientalistik und die Soziologie ansprechende systematische Analyse von Zeitzeugenberichten auf der Basis einer inzwischen ebenfalls veröffentlichten zehnbändigen Prosopographie von rund 3.600 abendländischen Migranten …

Stets im Rückgriff auf die umfangreiche, oftmals reichlich spröde Sekundärliteratur, deren Theorien pointiert vorgestellt und einprägsam resümiert werden, erläutert Müller nach einer anschaulich präsentierten methodologischen und quellenkritischen Einführung und der Darstellung von Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntnisgrenzen des beschrittenen Forschungswegs, den soziologischen und kulturhistorischen Hintergrund eines dokumentarisch nicht einfach zu fassenden Phänomens. Begriffsdefinitionen, die großzügig eingestreuten Quellenzitate, zahlreiche Diagramme und Tabellen sowie der Verzicht auf die Benutzung der von allen Nichtspezialisten gefürchteten Fachsprache der Soziologie erleichtern das Einlesen in den zwangsläufig theorielastigen strukturgeschichtlichen Teil. Die eigentlichen Auswertungen führen den Leser anhand von Fallbeispielen aus dem aufgearbeiteten Material in die unterschiedlichen Kategorien der freiwilligen (Reisende, Missionare, Kaufleute, Handwerker, Künstler, Söldner) und unfreiwilligen (Glaubensflüchtlinge und Kriegsgefangene) Migranten ein und vermitteln ihm wiederum dank der Aufnahme direkter Aussagen der Betroffenen ein lebendiges Bild von den Beweggründen, allgemeinen Zeit- und persönlichen Lebensumständen. Einen breiten Raum nehmen auch Untersuchungen zum Renegatentum und zur Sklaverei sowie in einem abschließenden Kapitel Studien zu den Bedingungen und Möglichkeiten der Integration und zur Identitätswahrung ein.

Als Ergebnisse hinsichtlich der soziologischen Aspekte verzeichnet Ralf C. Müller die persönlichen Eigenschaften und Ansichten des Migranten, seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Unabhängigkeit schon in seiner Heimat sowie auch seine vom Lebensalter her gereifte Persönlichkeit als tragende Rolle, die hohe Assimilierungsfähigkeit der multiethnischen osmanischen Gesellschaft sowie die bewussten Akkulturationsbemühungen des Staates, aber auch die fundamentalistische Strömungen ausgleichende Wirkung der Migration, während er als politisches Fazit festhält, dass eher von Einheit als von Spaltung des eurasischen Kontinents, einer Dominanz von Koexistenz und Kooperation, dem Bestehen einer kulturellen Symbiose entlang der Kontaktzone ausgegangen werden muss, das Osmanische Reich durchaus eine Alternative für Westeuropäer darstellte und der Bruch sich erst im 17. Jahrhundert (i. e. mit dem einsetzenden Niedergang) zu vollziehen begann. „Wie fremd waren sich Orient und Okzident vor einem halben Jahrtausend? Weniger fremd als heute!“ – Dieser Reflexion ist nichts hinzuzufügen.

Ralf C. Müllers umfangreiche Abhandlung besticht durch methodisch akribisches Vorgehen ebenso wie durch eine gefällige Darstellung, einen sehr schönen literarischen, einen weiten Bildungshorizont verratenden Stil und eine beeindruckende Bibliographie (S. 501–522, davon eine siebenseitige Auflistung ungedruckter Quellen), für die allein man dem Autor schon dankbar sein müsste, ist grundlegendes Werk, Handbuch und Steinbruch für weitere Studien in einem.

Petra Roscheck

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Ralf Schlechtweg-Jahn: Rezension von: Ralf C. Müller: Franken im Osten. Art, Umfang, Struktur und Dynamik der Migration aus dem lateinischen Westen in das Osmanische Reich des 15./16. Jahrhunderts auf der Grundlage von Reiseberichten, Leipzig: Eudora-Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006],
URL: http://www.sehepunkte.de /2006/10/8873.html

… Man bekommt … zunächst den Eindruck, als wolle Müller sich an einem interdisziplinären Methodenmix aus Literatur- und Geschichtswissenschaft versuchen, aber von den skizzierten literaturwissenschaftlichen Zugriffen bleibt letztlich wenig übrig.

… Um der Individualität der Autoren auf die Spur zu kommen, baut Müller eine Fülle von teilweise recht umfassenden Nacherzählungen von Lebensläufen einzelner Personen ein, die er häufig aus mehreren Texten rekonstruiert. Das schlichte Nacherzählen kann aber eine Analyse und Interpretation der historischen Kontexte nicht ersetzen, die eine Person erst konstituieren. Problematisch ist auch die Rekonstruktion von Lebensläufen aus mehreren Berichten, wenn man dabei diese Berichte selbst als das literarische Umfeld weitgehend ignoriert, die den Lebensbeschreibungen doch erst eine spezifische Kontur geben, und sie auch in funktionale Zusammenhänge stellen.

… Deutlich wird bei alledem, dass die Migration ins Osmanische Reich eine durchaus attraktive Alternative darstellte und, anders als in der Türkenpropaganda, der Umgang mit der Fremde in der Migration sehr differenziert ausfallen konnte, was überraschenderweise sogar für die Gefangenenberichte gilt. Eine Zweispaltung des Kontinents, so Müller, habe es angesichts solcher Befunde nicht gegeben, das Osmanische Reich sei ein Teil Europas gewesen.

Müllers Anliegen ist durchaus auch ein tagespolitisches, wird doch seit Jahren über die Frage diskutiert, ob die Türkei zu Europa gehört, und deshalb ggf. EU-Mitglied werden kann. Müller bezieht hier entschieden Stellung, und versucht immer wieder zu zeigen, dass das Osmanische Reich ein integraler Bestandteil Europas war …

Ein wesentlicher Nutzen der Arbeit über diese Befunde hinaus liegt in der umfassenden Zusammenfassung und Darstellung der recht disparaten und verstreuten Forschung, wobei die vielen Nacherzählungen von Lebensläufen mit ihren teilweise umfangreichen Zitaten einen lebendigen Eindruck von einer nicht immer leicht zugänglichen Literatur vermitteln.

Ralf Schlechtweg-Jahn

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MEDIOEVO LATINO, XXIX, 2008, S. 949 [11167

Die Studie geht auf eine Leipziger Dissertation von 2004 zurück. Unter Auswertung einer Vielzahl spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Quellen, darunter vor allem Reise- und Kriegsberichte sowie autobiographischer Texte, geht es um Fremdwahrnehmung, die Differenzen von Außen- und Innenperspektive, die zeitweise oder dauernde, freiwillige oder unfreiwillige Einwanderung von Westeuropäern ins Osmanische Reich und die Lebensmöglichkeiten, die sie dort vorfanden.

Christian Heitzmann

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… ich schreibe gerade eine Hausarbeit zum Thema „Sepharden im Osmanischen Reich“ und benütze Ihr Buch „Franken im Osten“ als Basisliteratur – und bin begeistert. Danke, daß Sie dieses Buch geschrieben haben.

A. F.

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ZEITSCHRIFT FÜR BALKANOLOGIE 45 (2009) 2, S. 283-287

… Ralf Müller ist die detailierte Darstellung der vielfältigen Verflechtungen und Interaktionen zwischen Orient und Okzident zu Begin der Neuzeit gelungen. Heutige Stereotypen über Gegenwart und Vergangenheit dieser Beziehungen, die oft eher Gegensätze und Unvereinbarkeiten betonen, wie auch die zeitgenössischen Stereotypen der antitürkischen Propaganda, verschwinden in der realen Vielfältigkeit der Kontakte. Das Phänomen der „Franken im Osten“ ist zwar seit langem bekannt, der Autor hat sich aber in einem bisher kaum dagewesenen Umfang dem Thema gewidmet und einen systematischen Zugang gesucht. Weniger wäre dabei zwar mehr gewesen und hätte zu einer stringenteren Darstellung geführt. Zusammen mit der gleichzeitig erschienenen zehnbändigen „Prosopographie der Reisenden und Migranten ins Osmanische Reich (1396–1611)“, die nicht nur die Angaben zu den 3590 ermittelten Personen enthält, sondern auch Auszüge aus den Quellentexten, wird Müllers Buch aber sicher für lange Zeit ein Standardwerk zumThema bleiben.

Klaus Schneiderheinze