Leipziger Internetzeitung, 23.11.2014

… Dafür darf der Leser teilhaben an der ganz privaten Geschichte der kleinen Familie, denn Mühler scheint seine kleine Welt von Anfang an mit der Faszination wahrgenommen zu haben, wie sie wohl jeder Vater hat, der seine Lieben wachsen und zu kleinen Persönlichkeiten heranreifen sieht. Da er das aber in einer Zeit tat, als die übliche Familienfotografie mit den kleinformatigen Kameras noch nicht möglich war (die kamen erst 20 Jahre später auf), erzählen die Bilder so beiläufig auch eine Menge über den Alltag dieser Zeit. … Im Zentrum fast immer Erni und Dora in den wechselnden Verkleidungen ihrer Zeit, mal mit ihrer Lieblingspuppe, mal mit Kinderwagen. Doch viele Fotos verraten auch, dass Papa Mühler keine Kamera dabei hatte, bei der er einfach mal kurz auf den Auslöser drückte. Deswegen musste er die Bilder ein bisschen arrangieren, manchmal auch regelrecht inszenieren. Aber das scheint für die Mädchen und die eher selten lächelnde Anna irgendwann schon Gewohnheit gewesen zu sein. Die beiden Mädchen genießen die Aufmerksamkeit des Vaters augenscheinlich und entwickeln sich so vor der Kamera zu echten Charakteren, bei denen man sich dann irgendwann sagt: Wenn du sie jetzt auf der Straße triffst, dann kennst du sie doch, kannste auch gleich grüßen. … Das vorletzte Bild in diesem Buch stammt von 1946 und zeigt Erni mit ihren Eltern. Dann heißt es Abschied nehmen. Auch wenn das schwer fällt. Denn eines schaffen diese Bilder aus Mühlers Familienalbum: zu zeigen, wie Johannes Mühler die Seinen liebte. Das schafft wirklich nicht jeder Fotograf. Dazu braucht es ein Händchen.

Ralf Julke

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Leipziger Stadtgeschichte. Jahrbuch 2015, S. 266 f.

Eine Familiengeschichte in Bildern mit Fotos längst vergangener Zeiten präsentiert der Eudora-Verlag Leipzig in einem für ihn bis dato neuen Format (18 x 22 cm quer) und einer auffallend gediegenen Ausstattung mit Ganzleineneinband, Schutzumschlag und ansprechender grafischer Innengestaltung. Die in guter Qualität reproduzierten über 120 Schwarz-Weiß-Fotos wurden bis auf wenige Ausnahmen von Bodo Zeidler zur Verfügung gestellt, der elf Fotoalben der Familie Mühler über Jahrzehnte bewahrte … Zwar ist Johannes Mühler kein ganz unbekannter Berufsfotograf, dessen Fotos in zahlreichen Firmenschriften, Kalendern, Zeitschriften, Fotobänden und als Ansichtskarten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Verbreitung fanden, dürfte aber heute lediglich wenigen Kennern bekannt sein. … Die vorliegende Publikation trägt auf verdienstvolle Weise dazu bei, die bisher weitgehend verborgen gebliebene Privatsphäre von Johannes Mühler (lange Zeit war nicht einmal ein Porträt von ihm bekannt) als weitere Facette dieses fast vergessenen sächsischen Fotografen aus dem Dunkel ans Licht zu holen.

Gerald Kolditz (Leipzig)