H-Soz-Kult, 08.09.2021, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95516

… Theo Kölzer summiert die Ergebnisse seiner Untersuchung für St. Maximin in Trier ebenso klar wie prinzipiell: „Ich entdecke keine Anhaltspunkte für eine Funktion der Urkunden jenseits ihrer eigentlichen Bestimmung als Rechtsdokumente (…)“ (S. 111). Er betont damit nachdrücklich das Rechtsformale als den „Wesensgrund der mittelalterlichen Urkunde“ (S. 112), ohne etwa die Aspekte der symbolischen Kommunikation, die in den letzten Jahren in den diplomatischen Vordergrund gerückt wurden, als unbedeutend abzutun – und charakterisiert damit ungewollt recht treffend den vorliegenden Band insgesamt. Die Mehrzahl der Studien behandelt die Urkunden primär als Rechtsdokumente, nicht als Zeugnisse des Performativen. Durchgehend richten sich die Blicke der Beitragenden dabei auf die Interaktion zwischen Ausstellern, Empfängern, Aufbewahrern und Benutzern. Sie haben sich längst als konstitutive oder zumindest als einflussreiche Faktoren für den Inhalt der Diplome, für deren formale und sprachliche Gestaltung erwiesen. Eine regionale Betrachtung ist hier im Sinne der Charakterisierung von personalen Beziehungsgeflechten und Gewohnheiten überaus sinnvoll. Die diachrone Perspektive über die Archivierung, Abschrift und Nutzung der Urkunden eröffnet dabei einen Zugang zum Verständnis der Diplome als zeitlose (Rechts-)Argumente ebenso wie insgesamt zum Wert herrscherlicher Autorität in seinem zeitlichen Wandel. Dabei erweist sich das Frageraster, das den Autorinnen und Autoren an die Hand gegeben wurde, als hilfreiches Instrument. Selbst bei schwankender Anwendung erhöht es die thematische Kohärenz deutlich und macht die Befunde auch überregional miteinander vergleichbar.
Verzeichnisse und detaillierte Register der Urkunden, Personen und Orte beschließen den Band, der weit mehr bietet als eine Sammlung von Einzelbeobachtungen. Durch die Vielfalt der Detailerkenntnisse und deren Scharfsichtigkeit überzeugt er noch stärker als durch sein gediegenes Äußeres.

Harald Müller, RWTH Aachen

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sehepunkte 21 (2021), Nr. 12 [15.12.2021], URL: http://www.sehepunkte.de/2021/12/35762.html

Methodische Überlegungen. Eine Stärke des Bandes besteht darin, dass er nicht nur Ergebnisse, sondern auch weiterführende methodische Impulse liefert. Der in der Einleitung präsentierte Fragenkatalog wird trotz der angesprochenen Schwierigkeiten im Rahmen von künftigen diplomatischen Forschungen sicherlich Anwendung finden. Besonders anregend ist das Plädoyer von Michel Margue für eine “integrierte Diplomatik”, die nicht nur die Diplomüberlieferung, sondern auch die gesamte Schriftproduktion des Empfängers einbeziehe. Zum Nachdenken regen auch die Überlegungen von Theo Kölzer an, der – wie bereits in früheren Studien – die rechtliche Dimension eines jeden Diploms betont und Kommunikation, Ritual und Propaganda eher als Akzidentia betrachtet.

Spezielle Funde. Abschließend sei auf einige besondere Ergebnisse oder Interpretationsvorschläge aufmerksam gemacht, welche etablierte Positionen der Diplomatik widersprechen oder diese infrage stellen.

Die Bewertung des Werkes fällt durchaus positiv aus. Obwohl einige Autoren Thesen wiederaufgreifen, die bereits im Rahmen von anderen Publikationen präsentiert worden sind, lässt sich die Qualität der gesammelten Studien als sehr hoch einstufen. Nochmal hervorgehoben seien die vielen neuen Funde und methodischen Impulse, auf denen künftige Forschungen sicherlich aufbauen werden. … Vor einiger Zeit wurde eine irreversible Krise der diplomatischen Forschung diagnostiziert. Der vorliegende Sammelband spricht eher für eine Disziplin in bester Verfassung!

Étienne Doublier