Michael Epkenhans: Rezension zu: Pantenius, Wilhelm Hartmut: Alfred Graf von Schlieffen. Stratege zwischen Befreiungskriegen und Stahlgewittern. Leipzig: Eudora 2016., in: H-Soz-Kult, 05.07.2017,
URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-3-007

Den Schlieffen-Plan, jenen kühn anmutenden Versuch, die militärischen Probleme des Reiches mit einem Schlag zu lösen, kennen die meisten von uns aus dem Schulunterricht. Aber wer sich hinter dessen „Erfinder“ verbarg, ist allenfalls ausgewiesenen Kennern der Militärgeschichte bekannt. Dies ist schade. Warum?
Wenn man diese voluminöse Biografie liest, dann wird ein Mann erkennbar, der ohne die rasante Entwicklung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch auf militärischem Gebiet nicht zu verstehen ist und der gleichzeitig versucht hat, seiner Zeit in einem wichtigen Bereich – dem der strategischen Planung – seinen Stempel aufzudrücken. …
„Ehrwürdiges Herkommen“ ist die Überschrift des Abschnitts, das Schlieffens Jugend beschreibt. Doch so „ehrwürdig“ die Verhältnisse auch waren, denen der Spross eines alten und mit höchsten Kreisen verwandten Adelsgeschlecht entstammte, große „Sprünge“ konnte die Familie offenbar nicht machen. Das Leben war eher bescheiden, geprägt von dem in pietistischen Kreisen weit verbreiteten Motto „bete und arbeite“. Schlieffens Leben, seine ungewöhnliche Disziplin, ist ohne diese Erziehung, zunächst zuhause, dann in der pietistischen Musterschule Niesky, nicht zu verstehen. Darauf folgte die in Adelskreisen, zumal wenn diese materiell nicht besonders begütert waren, übliche Zeit in den Kadettenanstalten. Für den jungen Schlieffen bedeutete dies einen längeren Aufenthalt in Berlin. Dort erlebte er als Augenzeuge die Revolution von 1848/49. Dieses Ereignis sollte ihn tief prägen, sah er doch, welche Kräfte am Werk waren, die Grundlagen der preußischen Monarchie – so zumindest seine Sicht – zu untergraben. Eine tief sitzende Revolutionsfurcht sollte ihn zeitlebens prägen. Ohne diese sind die Planungen gegen den „Feind“ im Innern nicht zu verstehen.
1853, mit dem Eintritt bei den Garde-Ulanen in der Invalidenstraße in Berlin, beginnt dann die eigentliche militärische Karriere Schlieffens. So schick die Uniform, der Alltag ist zunächst eher glanzlos. Zeitweilig überlegt Schlieffen sogar, die Armee zu verlassen. Enttäuschung über die geringen intellektuellen Herausforderungen, aber auch seine bekannte Sehschwäche waren dafür verantwortlich. Am Ende blieb er. Was folgte, war eine beeindruckende Karriere. An der Schlacht von Königgrätz nahm er an prominenter Stelle teil, ebenso am Deutsch-Französischen Krieg, in dem er zum Stab des Großherzogs von Mecklenburg während des Loire-Feldzuges gehörte. Dazwischen lagen interessante Jahre an der preußischen Botschaft in Paris. Schlieffen beobachtete die Verhältnisse dort aufmerksam, interessierte sich jedoch nicht nur für das Militär, sondern auch für Land und Leute. Schließlich unternahm er sogar einen „Ausflug“ ins französische Nordafrika. Dazwischen lagen mehr oder weniger interessante Jahre in Hannover und in Schwedt. Nach 1871 verschlug es ihn dann nach Straßburg, nach Berlin zum Gardekorps und schließlich nach Potsdam. Seine dortige Zeit als Kommandeur der 1. Garde-Ulanen sollte er Zeit seines Lebens als seine „glücklichste“ Zeit bezeichnen.
Obwohl der „alte” Moltke Schlieffen eigentlich nicht für höhere Aufgaben geeignet hielt, war es schließlich doch der Generalstab, in dem er sich seit 1884 voll entfalten sollte. Zunächst Chef der 3. Abteilung, übertrug Wilhelm II. ihm 1891 dessen Leitung. Schlieffen, so das Motiv des Kaisers, war kein Politisierer mit eigenen Ambitionen wie der umtriebige Waldersee, sondern fühlte sich auch als General als einer der obersten Beamten des Reiches. Schlieffen hat sich in diesem Amt, über dessen Schwere und Würde er sich voll im Klaren war, wohlgefühlt. Angesichts der neuen außenpolitischen Lage des Reiches, das nach dem Kurswechsel mit zwei Gegnern im Osten und Westen rechnen musste, betrachtete er es auch als seine Hauptaufgabe, dieser Bedrohung durch kluge militärische Planung entgegen zu treten. In mühsamer Stabsarbeit entwickelte er schließlich jenes „Rezept“, das als „Schlieffenplan“ in die Geschichte eingegangen ist. Pantenius beschreibt diesen Prozess, Schlieffens unermüdliches Planen, zu dem auch lange Ritte im Gelände im Osten wie im Westen gehörten, die vielen Planspiele und die damit verbundenen intellektuellen und handwerklichen Herausforderungen für seine Offiziere teilweise sehr minutiös. Grundsätzlich Neues erfährt der Leser hier zwar nicht; gleichwohl, die Schilderung dieses Alltags über Jahre hinweg vermittelt einen interessanten Einblick in das Handeln wie auch die Gedankenwelt Schlieffens. …
Pantenius zeichnet aber nicht nur Schlieffens militärischen Lebensweg nach. So erfolgreich dieser war, so tragisch verlief sein privates Leben. Seine Frau, die er früh kennen und lieben gelernt hatte, starb nach kurzer Ehe im Kindbett. Geheiratet hat er danach nie wieder, auch wenn er vielleicht ein Verhältnis mit seiner Haushälterin hatte. Näheres darüber weiß der Autor aber nicht. Arbeit scheint ohnehin der wesentliche Inhalt von Schlieffens Leben gewesen zu sein. Verantwortlich dafür dürfte vor allem seine pietistische Grundhaltung gewesen sein. Nach dem üblichen Morgenritt “verschwand” er im Generalstabsgebäude, das er auch in „normalen“ Zeiten häufig erst gegen Mitternacht verließ. Kriselte es, dann ließ er alles liegen. Dieses Arbeitsethos verlangte er allerdings auch von seinen Untergebenen, die sich damit allerdings teilweise nur schwer anfreunden konnten. …
In dieser Dichte haben wir Schlieffen noch nicht vorgestellt bekommen, und das ist viel wert.

Michael Epkenhans, Universität Hamburg / Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam / Universität Potsdam

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Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 462, Oktober/Dezember 2016, S. 223 f.

… Wilhelm Pantenius gelingt es, dem Phänomen Schlieffen in einem äußerst detaillierten und facettenreichen Werk auf den Grund zu gehen und in der Tat neue Ein- und Ansichten zu vermitteln. Neben umfangreichen und vielfach bisher unbekannten Archivalien aus dem Hausarchiv der Famlie Schlieffen, dem Bundesarchiv in Koblenz, dem Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine und Archiven der Evangelischen Kirche, dem Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Militärarchiv in Freiburg hat Wilhelm Pantenius eine große Anzahl von Bibliotheken, Archiven und Sammlungen durchgesehen und dabei eine Vielzahl von Dokumenten aus dem persönlichen Umfeld des Grafen Schlieffen zu Tage gefördert und ausgewertet.
Mit Hilfe dieser Unterlagen und Quellen gelingt es, die „Ochsentour“ des Werdeganges eines Generalstabsoffiziers in der preußischen Armee mit einer beispiellosen Detailgenauigkeit nachzuzeichnen und im gesellschaftlichen Kontext des Kaiserreichs erlebbar zu machen. Diese dem Andenken des Großen Generalstabes gewidmete Arbeit zeichnet das Wirken des Chefs des Generalstabes in der besten Tradition der Schlieffen-Schule des Reichsarchivs nach.
… Wilhelm Pantenius legt eine neue und überragende Biographie über Alfred Graf v. Schlieffen vor, die unbedingt lesenswert ist und die trotz ihres immensen Umfangs stets interessant und spannend zu lesen bleibt.

Frank Buchholz

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Neues Deutschland, 26. November 2016, S. 22

… Wilhelm Hartmut Pantenius stutzt Alfred Graf von Schlieffen auf das rechte Maß zurück

Den „Schlieffen-Plan“ kennen viele. … Dessen Verfasser, Al[fred] von Schlieffen (1833–1913), kennen die meisten hingegen kaum. So ist es denn auch sehr erfreulich, dass jetzt endlich eine zuverlässige, präzis aus persönlichem Nachlass, Akten und den Zeugnissen von Zeitgenossen geschöpfte Biografie auf den Buchmarkt kam. …

Kurt Wernicke

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Junge Freiheit, Nr. 41/2016, 7. Oktober 2016

Sein Plan änderte nichts an der Übermacht der Feinde
Wilhelm Pantenius hat eine imposante Biographie des preußischen Generals und Militärstrategen Alfred Graf von Schlieffen vorgelegt

Das Buch von Wilhelm Pantenius „Alfred Graf von Schlieffen“ ist aus mehreren Gründen bemerkenswert … besticht durch Ausführlichkeit. …
Wer sich für ein Gemälde der Gesellschaft und des Denkens in Deutschland zwischen 1750 und 1900 interessiert, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. Das gilt besonders auch für die Militärgeschichte dieser Zeit, deren ausführliche Darstellung im Buch von Pantenius diese Rezension kaum andeuten kann. Sicherlich kann man manches Urteil des Verfassers fragwürdig finden. Aber stets begründet Pantenius sein Urteil. Mithin kann man jedem, der sich für die erwähnten Themen interessiert, dieses  Buch mit gutem Gewissen empfehlen.

Franz Uhle-Wettler

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Historischer Verein der Pfalz, Juni 2016

… Das auf gründlicher Kenntnis der sehr breiten Literatur und auf umfangreichen Nachforschungen in verschiedenen Archiven beruhende Buch des Facharztes für innere Medizin Wilhelm Hartmut Pantenius, die Frucht jahrzehntelanger Beschäftigung mit der deutschen Militärgeschichte des XIX. und XX. Jahrhunderts, ist weit mehr als eine Biographie. Der Autor zeichnet nicht nur den Lebensweg Schlieffens nach, sondern geht auch ausführlich auf die Entwicklung des Großen Generalstabs und der dort angestellten Planungen seit der Zeit Moltkes ein, wobei er viele dort tätige einflußreiche Offiziere nicht nur nennt, sondern auch biographisch vorstellt und charakterisiert, davon Waldersee sehr kritisch. Sein besonderes Augenmerk richtet er auf die Entwicklung der strategischen Überlegungen und politischen Vorstellungen Schlieffens. In diesem Zusammenhang beleuchtet er auch das Verhältnis Schlieffens zum Geheimen Legationsrat Friedrich von Holstein, der im Auswärtigen Amt großen Einfluß hatte. Des weiteren erörtert Pantenius die außenpolitischen Konzeptionen Bismarcks und seiner Nachfolger Leo von Caprivi, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst und Bernhard von Bülow. Ebenso bespricht er das außenpolitische Handeln der anderen Großmächte und die dortigen militärischen Verhältnisse. Der Autor schreibt mithin mit sehr weiter Perspektive. Damit erklärt sich der große Umfang des Buches. …

Hans Fenske

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Leipziger Internetzeitung, 30.5.2016

Die ultimative Schlieffen-Biographie gibt es jetzt aus Leipzig
1.000 Seiten über den Mann, der den „Schlieffen-Plan“ so 1914 garantiert nicht ausgeführt hätte

Die Meisten kennen den Mann, obwohl sie ihn gar nicht kennen. Sein Name ist eng mit dem Schlieffen-Plan verbunden. Dass Alfred Graf von Schlieffen weder etwas für den sogenannten Schlieffen-Plan noch für den blinden Marsch des deutschen Kaiserreichs in den Weltkrieg konnte, das erzählt dieses Buch. Sehr parteiisch. Aber man versteht bald, warum Pantenius seinen Helden mit allen Mitteln der Recherche verteidigt. … die Typen, die 1914 für die Anzettelung des Weltkriegs und die katastrophale Truppenführung verantwortlich waren, kommen natürlich alle in Pantenius’ 1.000-seitigem Buch vor, mit dem er das Leben und die Karriere Alfred von Schlieffens akribisch aufgearbeitet hat. …
Pantenius nimmt den Leser ganz bewusst mit in jede einzelne Lebensetappe Schlieffens, der in seiner Karriere immer wieder lange Zeiten der Stagnation hatte, als es mit seiner Laufbahn scheinbar nicht weiter ging. … Man lernt so Einiges in dieser akribischen Recherchearbeit, natürlich auch über das Moltkesche Denken, das zu Schlieffens Zeit eben auch die gültige Generalstabsschule war. Und gerade aus den Erfahrungen der zunehmend verlustreicheren Kriege des 19. Jahrhunderts (die nächsten Lehrbeispiele gab es ja mit dem Krimkrieg und dem amerikanischen Bürgerkrieg) erwuchs das Grundmotiv der Kriegsführung, wie es auch Schlieffen verinnerlicht hat: Wenn man schon einmal Krieg führen musste gegen einen ernst zu nehmenden Gegner wie Frankreich, dann musste das Ziel der Kriegsführung sein, dem Gegner schnellstmöglich einen vernichtenden Schlag zu versetzen und den Krieg damit schnellstmöglich auch wieder zu beenden. Heißt: Die Hauptmacht von dessen Truppen kriegsunfähig zu machen, die Kapitulation zu erzwingen und damit die Verhandlungen zum Kriegsende einzuleiten.
Diese Denkhaltung spiegelt sich dann ab 1891 in allen von ihm entwickelten Mobilisierungsplänen, die selbst wieder eine Wissenschaft sind, denn damit wurde nicht nur der Transport von hunderttausenden Soldaten an die richtige Einsatzstelle an der Front organisiert, sondern auch die Bereitstellung der nötigen Artillerie, von Verpflegung und Munitionsnachschub, sondern auch ein – auf die Eisenbahn gestützter – minutiöser Aufmarschplan. Wobei man so nebenbei lernt, wie gerade der massive Ausbau der Eisenbahnverbindungen im späten 19. Jahrhundert dazu führte, die Handlungszeiträume der Politik immer weiter zu verknappen. Lagen zu Moltkes Zeiten noch mehrere Wochen zwischen Mobilisierungsbefehl und Kriegsbeginn, waren es zu Schlieffens Zeit nur noch knapp 14 Tage. …
Und so gibt es – wie es schon bei Moltke üblich war – von Schlieffen für jedes seiner Amtsjahre als Chef des Generalstabs einen modifizierten Mobilisierungsplan, der jeweils im Frühjahr gültig war. Und Schlieffen setzte sich jedes Jahr aufs Neue hin, änderte die Pläne, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen änderten oder gleich ganze potenzielle Kriegspartner wegfielen, wie das erst mit Italien der Fall war, später mit Österreich-Ungarn. Dabei wird ziemlich deutlich, wie Schlieffen sein Amt als Generalstabschef betrachtete. Anders als sein Amtsvorgänger Alfred Graf von Waldersee hatte er keine politischen Ambitionen. Im Gegenteil, vieles in seinen Plänen und Denkschriften deutet darauf hin, dass er die Clausewitzsche Auffassung, dass Krieg (nur) die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist (geäußert in Carl von Clausewitz „Über die Natur des Krieges“) verinnerlicht hatte: Die Politik durfte ihr Primat über Krieg und Frieden nie aus der Hand geben. …
Im Grunde lag schon 1902 die ganze Blaupause da für das, was dann 1914 zum Ausbruch kommen sollte. Und Schlieffen wusste 1905, dass der Nachfolger, den der Kaiser für ihn bestimmt hatte, von der ganzen moltkeschen Denkschule nichts gelernt hatte. Deswegen verfasste er zu seinem Dienstende dann noch jene Denkschrift, die er Moltke dem Jüngeren noch ans Herz legte, der dann an diesem „Schlieffen-Plan“ noch mehrmals herumdokterte, aber augenscheinlich nicht mal wusste, was der Plan eigentlich alles bezweckte. Dass Moltke d. J. dann schon im September 1914 völlig den Überblick verlor und in Panik verfiel, zeigt seine Überforderung in nuce. …
Natürlich fällt auf, wie sehr sich Pantenius mit seinem Helden identifiziert. Das ist aber wohl zwangsläufig, wenn man sich ein Leben lang mit preußischer Militärgeschichte und insbesondere dem preußisch-deutschen Generalstab beschäftigt. Dann werden auch die eigentlichen Lebenskonstellationen und -konflikte sichtbar. …
Aber für Schlieffen verlief die Konfliktlinie eindeutig zwischen der strengen Generalstabsarbeit ganz im Moltkeschen Sinn auf der der einen Seite und der zunehmend unberechenbarer werdenden Adjutanten-Politik des Kaisers, die sich gerade im Jahr 1914 dann so katastrophal verselbständigen sollte.
Natürlich wird diese Arbeit mit der fundierten Quellenarbeit und der peniblen Analyse auch der politischen Rahmenbedingungen zum maßstabsetzenden Schlieffen-Buch …, … für alle, die sich für dieses oft sehr oberflächlich behandelte Stück Zeitgeschichte im Vorfeld des Ersten Weltkrieges interessieren. Und auch für das Denken dieser Zeit, das uns heute berechtigterweise brandgefährlich erscheint. Aber den Frieden bewahren nun einmal nicht die Generalstäbe, sondern die Politiker. Da müssen sie ihre Fähigkeiten beweisen. Aber wie man weiß, waren auch zu Schlieffens Zeit die echten Friedenspolitiker schon rar.

Ralf Julke